Was ist das UnruhR-Festival?
Das Festival UnruhR wurde 2002 von den Theaterpädagog*innen Bernhard Deutsch (Theater an der Ruhr) und Martina Droste (Theater Dortmund), ins Leben gerufen. Die Intendant*innen des Theater an der Ruhr, Theater Dortmund, Kinder- und Jugendtheater Dortmund, Schauspielhaus Bochum, Westfälisches Landestheater Castrop-Rauxel, Theater Oberhausen, Schauspiel Essen, Theater Duisburg waren damit einverstanden, die Inszenierungen dem ausrichtenden Theater kostenlos zur Verfügung zu stellen und so die Finanzierung zu sichern. Das Festival wechselt dabei jährlich den Veranstaltungsort oder wird als Wanderfestival ausgerichtet.
Durch das Festival wurde jungen Theatermenschen, die erste Erfahrungen im Spiel gesammelt haben, die Möglichkeit gegeben, sich zu vernetzen. Gemeinsames Ziel war und ist es, den jungen theaterspielenden Menschen auf kurzem Weg den Austausch zu bieten, sich gegenseitig in ihren verschiedenen künstlerischen Ansätzen in kompletten Inszenierungen oder Werkschauen als Chance für Weiterentwicklung zu erleben, sich zu stützen, zu respektieren und ohne Konkurrenzdruck ein WIR im Ruhrgebiet bei allen Unterschieden aufzubauen. In seinem inhaltlichen Ansatz wurde UnruhR immer weiter entwickelt, ohne seine Grundsätze zu verlassen: Keine Auswahljury, kein Preis, kein Wettbewerb, sondern Austausch zwischen den 100-150 Theaterspielenden stehen ganz im Mittelpunkt.
Die Arbeiten der vergangenen 18 Jahre spiegeln eine intensive Auseinandersetzung mit brennenden Themen wie eigene Identität, Suche nach mehr Freiheit oder Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung oder der im ganz persönlichen Bereich wieder.
Jedes der Theater ist mit einer Aufführung vertreten. Die unterschiedlichen Arbeits- und Präsentationsformen werden sich gegenseitig gezeigt und vorgestellt, und dann das analysierende Gespräch über die Aufführungen und das Theatermachen gesucht. Im Laufe der vier Tage ist von Minute zu Minute ein immer intensiveres Miteinander zu spüren, eine starke gemeinsame Freude an dem Austausch.
Zudem finden immer mehrere Workshops statt, in denen professionelle Theatermacher*innen, den teilnehmenden Jugendlichen Raum geben, sich in den unterschiedlichsten theatralen Formen selbst auszuprobieren. Ein Festival ganz im Sinne der Theaterpädagog*innen der Theater des Ruhrgebiets, deren gelungene, jahrelange Zusammenarbeit sich in UnruhR manifestiert.
Wer dabei war, gehört auch noch Jahre später dazu – es geht bei allem Anspruch und auch harter Auseinandersetzung familiär zu. Viele der Teilnehmenden aus den ersten Jahren sind inzwischen professionelle Schauspieler*innen, Dramaturg*innen, Regisseur*innen, Künstler*innen oder haben einen der vielen anderen Theaterberufe ergriffen.
Es gab in den vielen Jahren viele Krisen zu überwinden – in den entscheidenden Momenten fanden sich immer die, die dann eine Schippe drauf legten. Das gemeinsame Ziel, die Durchführung des Festivals, stand über allem.
Dabei sein ist alles.
Bernhard Deutsch
Bernhard Deutsch war 26 Jahre Hauptschullehrer im sozialen Brennpunkt. Er gründete das Theater im Keller Trier mit Hauptschüler*innen und arbeitslosen Jugendlichen. Seit 1998 ist er Theaterpädagoge am Theater an der Ruhr und hat 24 Stücke mit jungen Menschen in deren hoher Eigenverantwortung erarbeitet. Außerdem ist er Mitgründer des Festival UnruhR.
Was ist das UnruhR-Festival in diesem Jahr?
Vom 20.-23. Mai 2020 springen in den Glasfasernetzen die Daten von elf Jugendtheatergruppen aus dem Ruhrgebiet hin und her und überhitzen das Netz mit einem Experiment auf der Suche nach neuen theatralen Orten und digitalen Gemeinschaften.
Warum im Netz und nicht in den Städten des Ruhrgebiets?
Anstelle der acht Theaterbühnen, werden dieses Mal fast so viele alternative Bühnen bespielt, wie es Teilnehmende gibt. Durch die Pandemie-Auflagen wurden im März 2020 die Theater geschlossen und die Gruppen konnten nicht (mehr) spielen – zumindest nicht live – und sich den verdienten Applaus für ihre Gedanken-, Gefühls- und Diskursräume abholen, die in den Aufführungen zum Ausdruck gekommen wären. Aber sie brachten den Mut auf und begannen gemeinsam eine Forschungsreise, und waren bereit, ihre Stücke zu transformieren. So entstanden auf Grundlage der jeweiligen Probenprozesse Videos, Fotos, Instagram-Stories und vieles mehr. Hundert Gehirne steckten ihre Synapsen neu und entwickelten in kürzester Zeit digitale Formate. So entstanden beispielsweise Home-Monologe aus der Isolation, Foto-Dokumentationen über die Veränderung des Stadtraums, neue Live-Impro-Formate, Audioreisen, digitale Rollenprofile aber auch überarbeitete Videos von Aufführungen aus einer Zeit, wo Berührungen und Nähe noch erlaubt waren.
Wie und wo und was im Netz?
Der Instagram-Account (@festivalunruhr) bündelt als zentrale Plattform die verschiedenen Kanäle und dokumentiert durch die Beiträge in einer Art Gesamtkunstwerk die unruh(R)igen vier Tage. In Discord ist das Festivalzentrum verortet und lädt dazu ein, sich kennenzulernen, zu spielen und im Austausch zu bleiben. Ein Herzstück des Festivals ist wie in den Vorjahren, so auch in der alternativen Digital-Version die Teilnahme an den Workshops, deren Leitungspersonen sich in ihren Vermittlungsformaten genauso breit aufstellen, wie die Gruppen mit ihren theatralen Fragmenten: Zu den Themen Szenisches Schreiben, Schauspiel, Tanzen und Bewegung, Clowns und Physical Theatre gibt es Tutorials, Livestreams und Chatrooms. Im Open Space wird das Festival reflektiert und als Abschluss wird eine Party im Livestream aus der Oval Office Bar die Lieblingslieder der Spieler*innen in die Welt hinausposaunen und zum Tanzen in den eigenen vier Wänden einladen.
Digitale Gemeinschaft ist das Fundament des diesjährigen UnruhR-Festivals! Wir gründen eine Online-Wohngemeinschaft – der Austausch über das Gesehene, Gehörte, Erlebte wird groß geschrieben. Digitales Theater bietet die Chance, unmittelbar zu kommentieren, zu verlinken, zu teilen. Das haben die Gruppen in zahlreichen Angeboten und künstlerischen Aktionen aufgegriffen und einige Formate laden zur Aktivierung und zum Mitmachen ein, teilweise auch über die Grenzen des Bildschirms hinaus. Umso wichtiger ist es, immer wieder zusammenzukommen und sich selbst mitzuteilen. Es wird immer wieder den Raum geben, das Erlebte gemeinsam zu verarbeiten und im direkten Gespräch miteinander aufeinander zu reagieren.
Alle Beteiligten des UnruhR-Festivals hinterlassen in den Weiten des Internets ein paar Spuren, definieren den abstrakten Raum mit und stellen Fragen zu der Welt, wie sie gerade ist, wie sie sein kann und wie wir sie uns wünschen!
Aline Bosselmann
Aline Bosselmann ist Theaterpädagogin und stellvertretende Gastgeberin für das Schauspiel Essen. Das erste Mal wirst du ihr vermutlich bei der Eröffnung begegnen, aber auch die Abschlussfete liegt in ihrer Hand.
Die teilnehmenden Theater wechseln sich in der Antragstellung ab und in diesem Jahr hat das Schauspiel Essen beim Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW den Antrag für das 19. UnruhR-Festival gestellt und somit die Durchführung gesichert.